im Rahmen des Bildungssteiks hielt ich folgende Rede am Sarg der Bildung in Hamburg:
Liebe hinterbliebene,
wir sind hierher gekommen, um einer guten Freundin das letzte Geleit zu geben. Wir wollen uns verabschieden, unsere Trauer teilen und versuchen Trost zu finden, in der Erfahrung nicht allein zu sein. Dennoch ist mir natürlich bewusst, dass der Schmerz über den Verlust nicht herunter zuspielen ist. Und eben dieser gemeinsame Schmerz ist es auch, der unsere gute Freundin ehrt, ein eindeutiger Ausdruck von Liebe.
Lassen wir uns deshalb erinnern, was sie ausmachte und was wir an ihr hatten.
Ihre Anfänge liegen im Dunkeln der Geschichte, mal tauchte sie in Alexandria auf, doch aufgewachsen ist sie mit Sicherheit in Athen, als Platon dort seine Akademie gründete. Später nahm sich der große Aurelius Augustinus ihrer an und sagte ihr große gesellschaftliche Geltung voraus.
Wie recht er hatte, konnte er nicht mehr erleben. Nur langsam startete ihre Karriere. Nur wenige nahmen die Gedanken des Augustinus ernst, dennoch gab es immer Freunde, die sie in einem ausgewählten Kreis rumreichten.
Langsam aber stetig: diese Schulen wuchsen und um 1200 war es dann soweit, in Paris und Bologna verlangten die großen Schulen von Kaiser und Papst eigenständige Statuten. Sie erlangten das Recht zur Selbstverwaltung und damit eine große Unabhängigkeit in der Pflege unserer Freundin. Ein großer Augenblick, während in Paris die Professoren die Universitas, also die Gemeinschaft der Gelehrten und Lernenden leiteten, waren es in Bologna-Padua sogar die Studenten selbst, denen die Universität gehörte und die sie leiteten. Dies zeigt besonders wie beliebt unsere Freundin war, wie sehr man sich um sie bemühte. Nicht lange und man gründete ihr zu Ehren in ganz Europa Universitäten. Sie wurde zu der völkerverbindenden Macht in ganz Europa. Nichts war gesamteuropäischer und, in den damaligen Grenzen, internationaler als Sie. Sie stand für Frieden und Zukunft. Für Erhalt und Wahrheit. Wenn man von ihr sprach, meinte man ganz Europa als Einheit
Mit der Aufklärung und der damit einhergehenden Reformation, endete diese Phase. Sie geriet in die zerreißenden Mühlen der Konfessionalisierung und Nationalstaatlichkeit. Jede Nation begann sich um sie zu reißen.
Und - sie wurde beliebter denn je.
Ihr Ansehen wuchs dermaßen, dass die Freundschaft mit ihr zu Statussymbol des Staates und der Bürger wurde. Die Förderung unserer Freundin war nationale Angelegenheit, weil ihre Schönheit und Würde als Wert des eigenen Standes gesehen wurde. Nur ein Land, das unsere Freundin hoch ehrte, stand selber ihm Ansehen hoch.
Seit dem 16 Jahrhundert schafften es die Nachfolger der Reformation von Sachsen aus, unsere Freundin jedem im Volk bekannt zu machen. 1717 erging auch in Preußen durch Wilhelm I die allgemeine Schulpflicht. Der Staat machte sich zur Pflicht unsere Freundin jedem zur Seite zustellen und die notwendigen Mittel zu beschaffen.
Ja unsere Freundin, von der wir uns hier verabschieden, machte dieses Land groß, sein Ansehen in der Welt verdankt es größtenteils ihr. Ich möchte nur erinnern an die Reformatoren, die Aufklärer, die Philosophen, die berühmten sieben Gelehrten von Göttingen, höhere Physik, Medizin, soziale Gesetzgebung, Autos, Raketen, die Frankfurter Schule, um nur einen Bruchteil zu nennen.
Ja letztendlich machte uns sogar der Umgang mit unserer Freundin weltberühmt. Das humboldtsche Konzept war nicht nur angesehen, sondern wurde oft zu kopieren versucht.
Doch wie so vielen Stars, erging es auch der Verstorbenen, nachdem man Generationen lang von ihr profitierte, wurde sie fallen gelassen. Man ergötzte sich an ihren Früchten, aber vernachlässigte sie. Der Humboldtsche Umgang wurde bald fallengelassen, um sich der Pflege der Früchte zuzuwenden. Die aß man ausgiebig, doch um unsere gute Freundin kümmerte man sich sträflich wenig. Der Umgang mit ihr gilt schon lange als uncool und uneffektiv. Nur wenige erkannten hier zu Lande ihren Wert.
Als man merkte, dass sie kränkelte, wurde schnell an ihr herum gedoktert. Exzellenzinitiativen sezierten sie und versuchten die früchtetragenden Teile aufzupäppeln, jedoch was nützt dies, wenn die Wurzel und der Stamm vertrocknet?
Es wurde weiter gedoktert: man brachte unsere Freundin zurück zu ihren Anfängen, man dokterte in Paris man dokterte in Bologna – welch Ironie.
Man wollte sie wieder in ihre alte gesamteuropäische Form bringen, indem man beschnitt, amputierte und rumoperierte. Man nahm ihr sie Selbständigkeit, die sie einst ausmachte, man nahm sie ihr nicht de jure, aber de facto.
Statt sie liebevoll zu pflegen und wieder aufzupäppeln, indem man ihr gute Nahrung gab, geriet sie in die kalten Fänge der modernen Apparate-Politik.
Einer der Doktoren in Hamburg war Dr. Klaus von Dohnanyi. Sein Therapieansatz war schon umstritten genug, doch sein Assistentsarzt Dr. Dräger versemmelte es erst richtig.
Wenn wir hier nun Abschied nehmen müssen, von unsere geliebten Freundin der Bildung, so müssen wir erkennen, dass sie letztendlich an gebrochenem Herzen gestorben ist.
Die Bildung konnte es nicht verkraften, zur reinen Ausbildung degradiert und zurechtgestutzt zu werden.
Lassen sie uns sie so in Erinnerung behalten, wie sie es gewollt hätte: Als bescheidener Star für jeden stets verfügbar – begehrt und geliebt.
Lasst uns im Gedenken die Köpfe senken.