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Mittwoch, 19. August 2009

aus dem rheinische merkur


BEGEGNUNG
„Ich bin ein Jesus-Freak!“
Anba Damian, das geistliche Oberhaupt der ägyptischen Kopten in Deutschland, lud das größte christlich-alternative Festival Europas auf sein Klostergelände ein.
VON JONAS VOGT

„Ich liebe diesen bunten Haufen einfach.“ Maggie schiebt ihr Fahrrad an einer Gruppe von Jugendlichen mit beeindruckenden Irokesenschnitten vorbei. Sie, ein Urgestein der selbst ernannten Jesus Freaks, nach eigenen Angaben „Generation 50 plus“, ist in ihrem Element. „Es ist ein magischer Ort. Hier spürt man, dass Gott alle Menschen berührt.“ Es ist der vierte Tag des „Freakstock“, des größten christlichen Musikfestivals Europas. Zum ersten Mal treffen sich die knapp 3500 Besucher auf einem ehemaligen Kasernengelände in Borgentreich bei Paderborn. Eigentümer des Grundstücks ist die Koptisch-Orthodoxe Kirche in Deutschland, die dort auch ein Kloster gegründet hat.
Auf den ersten Blick ist die Atmosphäre auf dem Gelände nicht von der auf anderen Festivals zu unterscheiden. Viele Besucher sind mit Gitarre angereist. Um sie sammeln sich Gruppen und singen. Der Geruch von Gegrilltem liegt in der Luft. Man spielt Frisbee, Fußball oder liegt entspannt im Gras. Im Stimmengewirr sind alle Dialekte des deutschen Sprachraums, aber auch Englisch, Spanisch und Italienisch auszumachen.
Das Gelände in Borgentreich mit den grau-beigen, lang gezogenen Gebäuden hat den Kasernencharme nie ganz ablegen können. An diesem Wochenende stört das hier keinen. Der Campingplatz ist hoffnungslos überbelegt, sodass sich die Zelte in jede freie Stelle zwischen den Gebäuden quetschen. Der Altersdurchschnitt der Besucher liegt gefühlt bei Mitte 20, aber er täuscht: Verglichen mit anderen Veranstaltungen dieser Art sind viele Kinder und ältere Menschen da. Die Atmosphäre gleicht einem großen Familientreffen.
„Wir Jesus-Freaks sind ja eigentlich auch eine große Familie“, erklärt Vanessa aus Berlin. Für die 22-Jährige ist es wie für viele andere nicht das erste Freakstock. Ihre Freundin Anna aus Düsseldorf nutzt das Festival sogar zu einem generationenübergreifenden Treffen mit ihrer Familie. „Hier sehe ich nicht nur meine Geschwister, sondern auch meine Mutter kommt seit Jahren her.“

Neben Gebeten, Predigten und theologischen Workshops spielt vor allem die Musik bei Freakstock eine große Rolle. Knapp 80 Bands und DJs aus dem christlichen Spektrum sorgen an den vier Tagen für Beschallung. Von Rock über Hip-Hop bis Metal ist alles vertreten. Einer der Musiker ist der 26-jährige Ruben. Der Schlagzeuger der Band Maskil sitzt am Nachmittag vor der Kneipe „Schädelstätte“ in der Sonne und bereitet sich auf den abendlichen Auftritt vor. Und sagt: „Freakstock ist einfach ein super chilliges Treffen.“ Christliche Bands wie seine könnten da ihre Botschaft richtig gut unters Volk bringen.

„Die Musik ist für mich alten Mann etwas laut. Aber die Texte! Sehr berührend.“ Bischof Anba Damian sitzt an einem Biertisch vor einem Teller Falafel. Verschnaufpause für das Oberhaupt der Koptisch-Orthodoxen Kirche in Deutschland. „Ich bin so begeistert. Die Neugier, die Begegnungen, die offenen Herzen – alles ist so wunderbar.“ Die Augen des Mannes mit dem grauen Bart und der imposanten Statur leuchten wie die eines Kindes, wenn er über das Festival spricht.
Bischof Damian kann sich vor Begeisterung in Ekstase reden. Dabei lacht der Mönch viel, bis das Amtskreuz auf seinem Bauch in der schwarzen Kutte vibriert. „Es freut mich so zu sehen, dass die jungen Leute keine Scheu vor meiner uralten Kirche haben.“ Der Bischof wünscht sich, dass aus den Tagen eine ökumenische Großbewegung entsteht. „Was wir heute als Samenkörner der Liebe säen, ernten einmal unsere Kinder.“
Bekommen Kopten keinen Kulturschock, wenn sie Jesus-Freaks sehen und Gruppen wie die kroatischen Ska-Rocker von „October light“ hören? Bischof Damian fährt sich über die Kalaswa, wie die Haube der koptischen Bischöfe genannt wird, während er die Geschichte der Annäherung erzählt. Eine Gruppe Freaks buchte vor einiger Zeit einen ganz klassischen Klosterurlaub. Er kam mit ihnen ins Gespräch, und alles andere entwickelte sich.
Trotzdem war es noch ein langer Weg, bis das Freakstock in Borgentreich realisiert werden konnte. Die Behörden kamen mit Auflagen. „Aber wir haben die Vision gemeinsam bewältigt.“ Der Bischof wollte es unbedingt. „Für uns ist das eine goldene Chance, unsere Kirche bekannter zu machen. Vor ein paar Jahren dachten die meisten doch, wir wären eine Sekte.“
Die koptische Kirche in Deutschland fristet gegenüber den anderen orthodoxen Kirchen ein Schattendasein. Bischof Damian steht knapp 6000 Gläubigen vor. Koptische Gottesdienste werden in zwei Klöstern und neun Kirchen zelebriert. Auf dem Gelände in Borgentreich leben einige ägyptische Familien, Priester und Diakone zusammen. Nur orthodoxe Mönche wie Anba Damian leben im Zölibat.

Wer sind die Jesus-Freaks? Nietengürtel, Frömmigkeit und T-Shirts mit der Aufschrift „Shut up and pray“ – die Vielfalt macht die Antwort gar nicht leicht. Die 29-jährige Bettina aus Berlin ist Chefredakteurin des „Kranken Boten“, eines Magazins von und für Jesus-Freaks. Sie macht es sich auf einem abgerissenen Sessel bequem und zuckt mit den Schultern. „Man kann nicht definieren, was ein Jesus-Freak ist. Es ist einfach ein Lebensgefühl.“ Ein Freak zu sein sei eine persönliche Entscheidung.
Die Jesus-Freaks gründeten sich 1991 in einem Hamburger Wohnzimmer. Ihr Initiator Martin Dreyer lebt heute in Köln und organisiert im Internet die Übersetzung der „Volxbibel“, einer Bibelausgabe in der Sprache der Szene. Als Buch erscheint sie im Pattloch Verlag. Die Freaks gewannen im Hamburger Schanzenviertel schnell Freunde, und ihre „Jesus-Abhäng-Abende“ bekamen immer mehr Teilnehmer. Inzwischen gibt es in vielen größeren und kleineren Städten Gemeinden, die sich allerdings stark unterscheiden: Mal gibt es einen Gottesdienst, mal einen losen Treff. Und die Mitglieder werden nicht gezählt. Wer dabei ist, ist dabei.
Mancherorts arbeiten die Jesus-Freaks in der Evangelischen Allianz mit. Die großen Kirchen stehen der Bewegung aber häufig gespalten gegenüber. Die Frömmigkeit der Jugendlichen macht Eindruck. Doch manche Gemeinde hat Angst, Jugendliche an die Freaks zu verlieren.
„Das Verhältnis zu den Kirchen ist manchmal ein Mit-, manchmal ein Nebeneinander. Das kommt ziemlich auf die Personen vor Ort an“, erklärt Bettina. Sie sieht die Freaks als alternative Bewegung.
Auch wenn es bei den Jesus-Freaks durchaus Mitglieder mit theologischer Ausbildung gibt, kümmern akademische Meriten die meisten wenig. „Predigen kann bei uns jeder, Männer, Frauen, Pastoren und Punks. Solange er etwas zu sagen hat und es sich innerhalb der biblischen Wahrheit bewegt.“ Die theologische Bandbreite ist groß, eine offizielle Lehre gibt es nicht. In der Bewegung ist prinzipiell jede Richtung und Konfession willkommen.
Nach Ansicht des Religionswissenschaftlers Sebastian Schüler herrschen bei den Jesus-Freaks allerdings konservative bis antimoderne Ansichten vor. „Die Jesus-Freaks sehen den Teufel als genauso wirklich an wie die Wiederkehr Jesu und das baldige Ende der Welt“, erklärt Schüler, der an der Universität Münster pfingstlich-evangelikale Bewegungen erforscht. „Sie legen die Bibel wörtlich aus, kämpfen für die Erlösung aller Seelen durch Jesus Christus und sehen sich selbst als Verkünder seines Wortes, als Jesuskrieger im Kampf gegen das Böse.“ Die theologischen Überzeugungen stünden im Gegensatz zu ihrem Auftreten, das sich speziell an Jugendliche aus dem linken Spektrum wende.
Während die Sonne über Borgentreich untergeht, steht Maskil auf der Bühne.Harte Gitarrenriffs drücken sich in die Ohren der Menge vor der Bühne. Später werden die Klubs auf dem Gelände öffnen. Bischof Damians „neue Freunde“, wie er sie nennt, feiern dann zu den Klängen harter Bässe Jesus und auch ein bisschen sich selbst. „Meistens viel zu lange“, stöhnt Vanessa und beweist, dass sie sich darin kaum von ihren Altersgenossen unterscheidet.
Bischof Damian trinkt den letzten Schluck seines Tees und sieht dem religiösen Treiben gelassen zu. Angst, eines Tages von einem Prediger in Schlabberhosen ersetzt zu werden, hat er offensichtlich keine. „Wir sind keine Konkurrenz – ich sehe mich doch selbst als Jesus-Freak!“
Vom Acker zur Kaserne
Das größte christlich-alternative Festival auf dem Kontinent, das dieses Jahr seinen 15. Geburtstag feierte, hat eine bewegte Vergangenheit mit mehreren Umzügen hinter sich. Nach den Anfangsjahren in Hamburg fand das Freakstock in seiner heutigen Kombination aus Seminaren, Predigten und Konzerten erstmals 1995 in einer Halle in Wiesbaden statt. Nach einer kurzen Zwischenstation auf einem Acker im bayerischen Kulmbach/Neudrossenfeld wanderte es auf den Boxberg, eine Pferderennbahn in Gotha. Von 1997 bis 2008 fand das Freakstock dort eine Heimat. In dieser Zeit wuchs das Festival zwischenzeitlich bis zu einer Größe von rund 8000 Teilnehmern an. Die Lärmschutzverordnungen der Stadt Gotha, ein Rückgang der Besucherzahlen 2007 und 2008, die steigende Anzahl an Familien innerhalb der Jesus-Freaks-Bewegung und die Neuausrichtung des Festivals haben 2009 zu dem Ortswechsel des Freakstocks in die alte Kaserne Borgentreich bei Höxter geführt. In den Gebäuden lassen sich mehr Seminare, aber auch Unterkünfte für Familien anbieten, denn das Alter der Besucher steigt. Veranstaltet wird das Freakstock von dem seit 1994 bestehenden Verein Jesus Freaks International mit Sitz in Darmstadt. Die Anhängerschaft der Jesus Freaks mit Gruppen in vielen größeren Städten wird in Deutschland auf 2000 geschätzt.
© Rheinischer Merkur Nr. 32, 06.08.2009

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