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Dienstag, 5. Februar 2013

'Kurze' Reflexion zu öffentlicher Ironie

Ein Verein der auf diesem blog nicht verlinkt werden möchte, hat eine Petition an den deutschen Werberat gestartet.

Einer der Kritikpunkte ist, dass die meisten Meldungen über verwerfliche Werbung die an den deutschen Werberat gemacht werden, mit der Kategorisierung „es handelt sich bei der Werbung um Ironie“ von diesem entkräftet werden.
Man fragt sich wozu der Werberat (eigentlich freiwillige moralische Aufsichtsinstanz der Werbewirtschaft) existiert, wenn Meldungen so pauschal mit einem Hammer-Argument vom Tisch gefegt werden. Klar, sachlich ist das Argument Ironie augenscheinlich nicht falsch, aber Standpunkte lassen sich am besten an ihren Rändern prüfen. Sprich, wenn man es konsequent zu Ende denkt oder ins Extrem überspitzt, werden Schwachstellen sichtbar und man kann sehen, ob eine Theorie haltbar sein kann.

Also: Wenn der Werberat fragwürdige Werbung mit Ironie entschuldigt, wie wäre es dann, wenn die FSK alle Filme frei gäbe, weil jede Grausamkeit nur ein Special Effect ist???

Natürlich der Vergleich hinkt ein wenig, aber tatsächlich nur ein wenig und als Veranschaulichung war diese Übertreibung ja bewusst in Kauf genommen.

Übrigens, bei der FSK gab es echt solche Urteile: 'Tanz der Teufel' wurde vom Index genommen, weil die unmenschlich Dahingemetzelten ja keine Menschen, sondern Zombies seien und damit keine Menschenrechte innehätten und damit sei der Film nicht mehr unmenschlich grausam.(????)
PC-Spiele werden freigegeben, wenn die Unmengen von Blut statt rot grün verfremdet sind.

Hier schütteln viele den Kopf, bei der Ironie-Ausrede irgendwie nicht.

Nun was ist den Ironie und wie funktioniert sie?
In einer Schlüsselszene der Filmkomödie „Tötet Mrs. Tingle“ erklärt Hellen Mirren in der Titelrolle: „Ironie ist das Gegenteil dessen, was ist oder was man erwartet.“ Das dürfte in etwa dem landläufigen Verständnis entsprechen, dass offenbar auch der Werberat zugrunde legt.
„Ist ja nicht so gemeint!“ Diese Definition ist allerdings sehr verkürzt. Wenn ich erwarte morgen zur Arbeit zugehen, mich aber nachts ein Herzschlag trifft, ist das tragisch aber nicht ironisch.


Chiquitta Bananen: nur gelbe Bananen sind frisch – dabei sind reife Bananen immer leicht braun
Gillette: natürlich ist eine Rasierklinge dünner als ein Chirurgen-Skalpell, waren sie schon immer, ein Skalpell braucht seine stärke um die nötige Stabilität zu haben, wäre es dünn wie ne Rasierklinge,wäre es zu flexibel für einen schnitt durch die Lederhaut.
Ohne Haftcreme fallen Gebisse raus – dann wäre es einfach schlecht angepasst, Haftcreme hat eine andere Funktion etc.










Der Duden definiert die Ironie als Stilmittel wie folgt: „feiner, verdeckter Spott, mit dem jemand etwas dadurch zu treffen sucht, dass er es unter dem augenfälligen Schein der eigenen Billigung lächerlich macht.“

Das ist schon ein Unterschied.


Schauen wir uns diese Definition mal genauer an:

Also die Absicht ist das lächerlich-Machen, sprich eine Ablehnung dessen was man behauptet/darstellt. Deswegen ist eine humoristische Wiedergabe oder gar eine reine Überziehung an sich noch keine Ironie. Tatsächlich macht die Absicht des Stilmittels die Ironie aus. Meine Übertreibung oben ist eine Hyperbel, vielleicht auch ein dumme Aussage und unpassender Vergleich, aber eindeutig keine Ironie. Selbst wenn ich dies nun entschuldigend behaupten würde.

Der Duden zählt Ironie zum „feinen“ Spott, weil „verdeckten“ Spott. Das bedeutet auch, dass dieser nicht jedem zugänglich ist, wie zum Beispiel ein plumper Witz ist. Deswegen wird Ironie vielleicht auch verwendet. Damit die, die Anspielung verstehen, die es sollen und die, die es nicht sollen eben nicht. (meisterlich vorgeführt im Film „Quo Vadis“ in den Gesprächen die Petronius mit Nero führt). Wikipedia ergänzt nach der Übersetzung des griechischen Ursprungs (eironeía) mit „Verstellung“: „Damit verbindet der [sich verstellende] Sprecher dennoch die Erwartung, dass der wahre Sinn seiner Äußerung verstanden werde, wenn auch vielleicht nicht von jeder Person respektive nicht von jeder Person in vollem Umfang.“





Hieraus folgt eine erste Frage an den Werberat:

Kann man öffentliche Ironie gutheißen, da diese ja per Definition nicht von allen als solche verstanden wird?





Zumindest im ersten Moment soll die Ironie von niemandem als solche erkannt werden, sondern erst auf den zweiten Blick, sonst könnte man sich diese rhetorische Finte ja auch sparen und gleich Tacheles reden.

Man muss sich Fragen wer sind die die es nicht verstehen (sollen)?





Wenn der Duden von „augenfällig“ schreibt, ist es der Zielgruppe, also denen die es verstehen sollen, somit klar zu werden, dass es sich um eine Verstellung handelt. Wie geschieht das?

Zu diesem Vorgang, worin die Verstellung besteht und wie sie als solche entlarvt wird, schreibt Wikipedia: „Die ironische Äußerung verstößt gegen geteilte Wissensbestände, von deren Geteiltheit Sprecher und Adressat wissen“.

Sprich Ironie funktioniert nur in einem Kontext. Der Redner muss einerseits wissen, dass der Zuhörer weiß was die Wahrheit ist und andererseits muss der Redner auch wissen, dass der Zuhörer weiß, dass auch der Redner die Wahrheit kennt.

Deswegen ist Ironie auch kaum unkommentiert zu zitieren besonders von Unbekannten.




Wenn man bekannte Feministinnen mit einem Chauvi-Spruch zitiert, werden die meisten es berechtigterweise für Ironie halten. Wenn eine unterdrückte Stepford-Wife das sagt, muss man genau prüfen, ob das ihre Meinung ist oder doch Ironie. Der Tonfall könnte es verraten - aber bei Druckerzeugnissen ist das fast unmöglich! Und wenn ein bekannter Macho das Gleiche sagt wird es wohl wirklich seine Meinung sein. Zumindest wird das unterstellt.





Bei Ironie in der Öffentlichkeit muss man davon ausgehen, dass viele Hörer nicht das notwendige Wissen teilen. Weswegen Ironie in der Öffentlichkeit immer ein Risiko ist.





Zur Öffentlichkeit gehören eben alle. Auch Kinder!

Kinder können aufgrund fehlendem Hintergrund-Wissen Ironie erst spät, frühestens Schulalter, als solche erkennen. Auch weil, neben den fehlenden Kontext-Informationen, ihnen das Konzept von wahr und unwahr erst nach und nach klar wird – nicht alles ist so wie es aussieht. Kleine Kinder nehmen sehr direkt wahr und interpretieren genauso. Klar das Konzept wahr und unwahr lernen sie schon weit vor der Schule, aber das dies eben ein Lernprozess ist, verstärkt die Unfähigkeit des Bewertens und des noch fehlenden Bewusstseins, dass alle Botschaften mit Hintergrundwissen abgeglichen werden müssen: Wem kann ich trauen, wer verfolgt andere Ziele - und später auch aus welcher Motivation.





Das fällt ja schon Erwachsenen schwer. Gerade bei Werbung! Was gibt es nicht alles für Werbelügen:


Ohne Weichspüler verlässt dich der Ehemann und ohne Milchschnitte wird mein Kind keine Sportlerin und mit Pril hat jeder Spaß am Abwasch.





Wie sollen dann Kinder wissen das Werbung eben Werbung ist und kein Bildungsfernsehen. (Werbung ist oft aber als Pseudo-Infoclip auf gezogen.)





Wenn Ironie fein und versteckt ist muss man theoretisch die Ernsthaftigkeit einer solchen Aussage in Erwägung ziehen können. Sprich Ironie muss das berühmte Körnchen Wahrheit oder noch besser eine anerkannte Annahme beinhalten, die man damit versucht lächerlich zu machen.





Wenn wir sexistische Werbung also als Ironie einstufen, könnte diese tatsächlich die Meinung der Werbenden widerspiegeln, aber wir gehen davon aus, dass diese Menschen nicht so denken. Wir unterstellen ihnen eine andere Meinung.

Warum eigentlich? Halten wir Firmen die Kinder in Bangladesch ausbeuten oder Arbeiter in China für moralisch so edel, dass sie keine Sexisten ein können?





Und wie soll das ein Kind erkennen?

Wenn ein Erwachsener eine solche Werbung sieht, wird diese sein bereits vorhandenes Weltbild nur wenig erschüttern, aber Kinder, die gerade die Welt entdecken und alle Infos aufsaugen und adoleszierende Jugendliche, die sich gerade selbst finden und ihre eigene Meinung aus dem Berg des Angebotenen bilden, brauchen Schutz.

Öffentlichkeit (öffentlicher Raum) ist eben öffentlich - und damit gehören auch alle dazu - auch die Unmündigen, die die anfällig sind und eben die Kinder.





In der Öffentlichkeit müssen diese durch die Allgemeinheit geschützt werden.


Eigentlich sollte ein Werberat dies also tun oder?

Die Petition will ihn dazu bringen seine Aufgabe endlich wahrzunehmen!



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