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Mittwoch, 19. August 2015

Ich bin ein Gast auf Erden, verbirg deine Gebote nicht vor mir (Ps 119,19)


In Diskussionen komme ich sehr häufig zu dem Punkt, dass mir jemand Sachverhalte mit Wortherleitungen erklären will. Das ist manchmal sehr lustig, denn Wörter und Begriffe ändern mit der Zeit oft ihre Bedeutungen.
So nütze es mir nix wenn ich mit einem Soldaten über die Befehlskette diskutiere und damit argumentiere, dass der Marschall - einer der höchsten militärischen Ränge - im frühen Mittelalter noch den Stalljungen und Pferdeknecht (althdeu. Marahscalc) bezeichnete.
Und das „toll“ vor hundert Jahren noch kein Kompliment, sondern eine Beleidigung war (nämlich verrückt, siehe Tollhaus) ist im Alltag unnützes Wissen.
Die Zeit lässt sich nicht zurück drehen, auch wenn wir und das vielleicht manchmal wünschen.
Dennoch ist diese Nachforschung auf anderer Weise nicht nur interessant, sondern auch hilfreich.
Zum einen mal natürlich beim Verstehen alter Texte, Goethe, Shakespeare, Aristoteles und natürlich allem voran für uns, DIE BIBEL. Was hat der alte Jude, der Jünger, der Grieche darunter verstanden und was ist dann wohl damit gemeint? Keine gute Auslegung kommt ohne eine solche Prüfung aus.
Zum anderen hilft es, unsere eigene Kultur und Geschichte zu verstehen und wie wir uns dahin entwickelt haben, wo wir heute stehen.

Wie sieht das denn mit der Gastfreundschaft aus?
Überraschenderweise leitet sich „Gast“ von einem Wort für Fremdling ab. Und das griechische Wort für Gastfreundschaft im NT heißt „philoxenia’ was buchstäblich ‚fremdenfreundlich’ bedeutet.
Leider begründen aktuell viele ihre Fremdenfeindlichkeit mit Ihrem christlichen Glauben.
Es ist kaum nachvollziehbar für mich, wenn ich die Bibellese.
Klar gibt es im AT zu bestimmten Zeiten, Aufforderungen sich nicht mit anderen Kulturen zu vermischen und deren Bräuche anzunehmen. Dabei handelt es sich um Zeiten wo die Juden im Exil waren, also sie waren die Fremden und waren in Gefahr ihre Identität zu verlieren: Das auserwählte Volk war zerstreut - wenig Herausstellungsmerkmale, was damals sehr wichtig für ihre Identität als abgesondertes heiliges Volk war. Die Assyrer waren auch beschnitten, der Tempeldienst unmöglich etc. So wurden der Sabbat und andere Gesetze das Mittel zur abgrenzenden Identitätsstiftung. Jeremia hatte die Botschaft, bloß nicht in Ägypten Asyl zu suchen, denn der Auszug aus Ägypten war eines der wichtigsten identitätsstiftenden Ereignisse.
Aber genau dieser Auszug aus Ägypten war auch der Grund mit dem stets die Pflicht zur (im alten vorderen Orient eh unglaublich hochgehaltenen) Gastfreundschaft für die Juden begründet wurde, z.B. Ex 22,20 „Die Fremdlinge sollst du nicht bedrängen und bedrücken; denn ihr seid auch Fremdlinge in Ägyptenland gewesen.“ Israel gilt auch im ‚eigenen Land’ als Gast, da das gelobte Land eigentlich Gottes Eigentum ist. Das Wort ‚Hebräer’ heißt buchstäblich „der Fremde von drüben“, da Abraham Einwanderer aus Mesopotamien war.

Auch Christen sind nur Gast auf Erden
Wir Christen müssen uns nicht mehr absondern! Im Gegensatz zum Judentum sind wir eine missionierende Religion. Mission kann nicht über Distanzierung laufen; wir gehen auf andere zu. „Nach der Gastfreundschaft trachtet“ Rö 12,13. Hier steht wieder ‚Fremdenfreundlichkeit’, also bezieht diese sich nicht nur auf die Christen, deren Nöte wir uns annehmen sollen. ’Nach etwas trachten’ heißt ein ‚aktives Suchen danach’ (Im Gegensatz zum Warten mit verschränken Armen, ob es sich günstig ergibt, dass vielleicht mal jemand kommt und Gast sein will).
Seit Zeiten des Talmud dürfte sich herum gesprochen haben, dass der Nächste nicht der Lieblingsbruder oder die beste Freundin ist, die man eh am liebsten hat ist, sondern jeder der dir begegnet. „Denn wenn ihr liebt, die euch lieben, was werdet ihr für Lohn haben? Tun so nicht auch die Sünder? Und wenn ihr nur zu euren Brüdern und Schwestern freundlich seid, was tut ihr besonderes? Tun nicht dasselbe auch die Ungläubigen? (Mt 5, 46f)
Was für ein Zeugnis gebt ihr den Fremden, die zu euch kommen, wenn ihr euch als Christen zu erkennen zu geben versucht, indem eure Identität in der Abgrenzung und Anfeindung besteht? Der Erneuerer der Reformation Philipp Jakob Spener, schriebt vor 340 Jahren, dass sich die Andersgläubigen, die unter uns wohnen, darüber zuallererst ärgern: „Denn sie können nicht glauben, daß Es möglich sei, daß wir Christus für einen wahren Gott halten, wenn wir seinen Geboten so gar nicht folgen. Oder es müsse unser Christus ein böser Mensch gewesen sein, wenn sie ihn und seine Lehre nach unserem Leben beurteilen.“ (Pia desideria S.37)[1]

Auf das alle unsere Freunde werden.
Dietrich Bonhoeffer beginnt sein Buch „Gemeinsames Leben“ (1938) mit der bemerkenswerten Feststellung, „ Es ist nichts Selbstverständliches für den Christen, daß er unter Christen leben darf. Jesus Christus lebte mitten unter seinen Feinden. […]So gehört auch der Christ nicht in die Abgeschiedenheit eines klösterlichen Lebens, sondern mitten unter die Feinde. Dort hat er seine Auftrag, seine Arbeit.“
Dort sollen wir leben und lieben. Der jüdische Theologe Pinchias Lapide schrieb über die Passagen der Bergpredigt zur sog. ‚Feindesliebe’, der er den interessanten Begriff der „Entfeindungsliebe“ gab. Für ihn war das freundliche Zuwenden der Weg den Feind zum Freund zu machen. Im hebräischen Text den Jesus da zitiert, steht eine grammatische Form (dativus ethicus) die etwa soviel bedeutet, wie „wende dich ihm liebend zu“. Es geht also nicht um ein Gefühl, das wir aufbringen sollen, sondern um einen Akt, ein praktisches Handeln. Das macht aus Fremden und sogar Feinden irgendwann Freunde. Zumindest ändert sich mein Blick auf die, um die ich ‚freie’. Das ist übrigens der Stamm des deutschen Wortes „Freund“, der den man freit, also um den man sich kümmert und umschwärmt. Wenn ich freiwillig eine weitere Meile mitgehe und zum Rock auch noch freiwillig den Mandel gebe (Mt, 5, 40f) schindet das Eindruck; evtl. beschämt es sogar und bewirkt eine Gegenleistung -und schon steht man nicht mehr als Feinde sondern als Partner gegenüber - was im besten Fall zu einer Freundschaft ausgebaut werden kann. Gute Werke retten uns nicht, aber vielleicht den anderen, und sie deuten auf Christus.
So vergesst nicht Freunde der Fremden zu sein die zu euch kommen (Heb 13,1) und das ohne Murren (1Petr 4,9) auch wenn das „Freien um einen Fremden“ nicht immer einfach ist.

Wenn wir so zeugnishaft leben, brauchen wir auch keine Angst haben, dass eine andere Religion hier größer als unsere wird, denn so werden der christlichen Gemeinschaft täglich neue hinzugefügt.
Die als Jüdin geborene christliche Philosophin Edith Stein (gest. 1942 in Auschwitz) formulierte es so „Für Christen gibt es keine fremden Menschen. Es ist jeweils der Nächste, den wir vor uns haben und der unserer am meisten bedarf; gleichgültig, ob er verwandt ist oder nicht, ob wir ihn mögen oder nicht, ob er der Hilfe moralisch würdig ist oder nicht.“

So „refugees welcome“ - weil der Heiland es so will.
 Gastfreundschaft lässt das Abendland vielleicht mal wirklich christlich wirken.



[1] Genau das ist tatsächlich der Vorwurf vieler radikal-muslimischer Wahabiten an den Westen („christliches Abendland“?)

Mittwoch, 10. Juni 2015

Reflexion über Toleranz



Was  befähigt tolerant zu sein?
In der Physik bezeichnet „Toleranz“ den Bereich in dem Störungen ertragen werden können ohne die Stabilität einzubüßen.
Diese Definition bietet uns mehr praktische Hilfe als die leidige Wortherkunftsdebatte die Frau Birgit Kelle in ihrem ideologische Kampf ständig in die Debatten schmeißt. (Toleranz kommt von lat. tolerare – ertragen erdulden und Akzeptanz von lat. accipere für gutheißen)

Wenn ich andere nur erdulde bin ich auch nur vom Wortsinn her tolerant. Einen respektvollen Umgang, den man eigentlich umgangsprachlich unter tolerieren versteht, stellt man sich doch weniger leidend vor.
Toleranz als 'sich nicht aus der Bahn werfen lassen' eröffnet mir da doch schon mehr Möglichkeiten. Solche Toleranz wird sogar gern mal genutzt und ausgereizt. Zum Beispiel beim Tempolimit und Messungen dessen Einhaltung (Blitzer und Radar'fallen').

Dazu muss man zunächst einmal sich seiner selbst klar und bewusst sein. Wo stehe ich?  Einflüsse haben dann viel weniger Wirkung. Ein festverwurzelter Baum fällt nicht im Wind. Aber um nicht zu brechen muss er auch flexibel sein. Sich biegen können - aber immer wieder wissen, wie seine eigentliche Position ist, damit er zurückkehren kann.

Tolerant = stark/intolerant = schwach . JA ABER
„stark“ und „schwach“ sind zwar hier zu zutreffende Gegensätze aber es sind nicht wertende Begriffe. Starke Verben sind ja auch nicht besser als schwache, sie können nur Lautänderungen besser verkraften ohne Bedeutungsverlust. Deswegen kann auch Paulus von Starken und Schwachen sprechen und beide gleichwertig sehen und beide zur gegenseitigen Akzeptanz ihrer Toleranzbereiche aufrufen. Wir müssen hinnehmen (so wird akzeptieren heute meist verwendet) das es andere Menschen, Grenzen und Wege gibt. Und wenn wir lernen dies sogar gutzuheißen haben wir einen riesigen Gewinn.

6+ 3=9
but so does 5+4
anders heißt nicht unbedingt falsch


Dennis Michalke (40 J.)
erkennt immer wieder beschämt, dass seine Vorurteile mehr über ihn selbst Aussagen als über den anderen