In Diskussionen komme ich sehr häufig zu dem Punkt, dass mir
jemand Sachverhalte mit Wortherleitungen erklären will. Das ist manchmal sehr
lustig, denn Wörter und Begriffe ändern mit der Zeit oft ihre Bedeutungen.
So nütze es mir nix wenn ich mit einem Soldaten über die
Befehlskette diskutiere und damit argumentiere, dass der Marschall - einer der
höchsten militärischen Ränge - im frühen Mittelalter noch den Stalljungen und
Pferdeknecht (althdeu. Marahscalc)
bezeichnete.
Und das „toll“ vor
hundert Jahren noch kein Kompliment, sondern eine Beleidigung war (nämlich verrückt,
siehe Tollhaus) ist im Alltag unnützes Wissen.
Die Zeit lässt sich
nicht zurück drehen, auch wenn wir und das vielleicht manchmal wünschen.
Dennoch ist diese
Nachforschung auf anderer Weise nicht nur interessant, sondern auch hilfreich.
Zum einen mal
natürlich beim Verstehen alter Texte, Goethe, Shakespeare, Aristoteles und
natürlich allem voran für uns, DIE BIBEL. Was hat der alte Jude, der Jünger, der
Grieche darunter verstanden und was ist dann wohl damit gemeint? Keine gute
Auslegung kommt ohne eine solche Prüfung aus.
Zum anderen hilft
es, unsere eigene Kultur und Geschichte zu verstehen und wie wir uns dahin entwickelt
haben, wo wir heute stehen.
Wie sieht das denn mit der Gastfreundschaft
aus?
Überraschenderweise
leitet sich „Gast“ von einem Wort für Fremdling ab. Und das griechische Wort
für Gastfreundschaft im NT heißt „philoxenia’ was buchstäblich ‚fremdenfreundlich’
bedeutet.
Leider begründen
aktuell viele ihre Fremdenfeindlichkeit mit Ihrem christlichen Glauben.
Es ist kaum
nachvollziehbar für mich, wenn ich die Bibellese.
Klar gibt es im AT
zu bestimmten Zeiten, Aufforderungen sich nicht mit anderen Kulturen zu
vermischen und deren Bräuche anzunehmen. Dabei handelt es sich um Zeiten wo die
Juden im Exil waren, also sie waren die Fremden und waren in Gefahr ihre
Identität zu verlieren: Das auserwählte Volk war zerstreut - wenig
Herausstellungsmerkmale, was damals sehr wichtig für ihre Identität als
abgesondertes heiliges Volk war. Die Assyrer waren auch beschnitten, der
Tempeldienst unmöglich etc. So wurden der Sabbat und andere Gesetze das Mittel
zur abgrenzenden Identitätsstiftung. Jeremia hatte die Botschaft, bloß nicht in
Ägypten Asyl zu suchen, denn der Auszug aus Ägypten war eines der wichtigsten
identitätsstiftenden Ereignisse.
Aber genau dieser
Auszug aus Ägypten war auch der Grund mit dem stets die Pflicht zur (im alten vorderen
Orient eh unglaublich hochgehaltenen) Gastfreundschaft für die Juden begründet
wurde, z.B. Ex 22,20 „Die Fremdlinge sollst du nicht bedrängen und bedrücken;
denn ihr seid auch Fremdlinge in Ägyptenland gewesen.“ Israel gilt auch im
‚eigenen Land’ als Gast, da das gelobte Land eigentlich Gottes Eigentum ist.
Das Wort ‚Hebräer’ heißt buchstäblich „der Fremde von drüben“, da Abraham
Einwanderer aus Mesopotamien war.
Auch Christen sind nur Gast auf Erden
Wir Christen müssen
uns nicht mehr absondern! Im Gegensatz zum Judentum sind wir eine missionierende
Religion. Mission kann nicht über Distanzierung laufen; wir gehen auf andere
zu. „Nach der Gastfreundschaft trachtet“ Rö 12,13. Hier steht wieder ‚Fremdenfreundlichkeit’,
also bezieht diese sich nicht nur auf die Christen, deren Nöte wir uns annehmen
sollen. ’Nach etwas trachten’ heißt ein ‚aktives Suchen danach’ (Im Gegensatz
zum Warten mit verschränken Armen, ob es sich günstig ergibt, dass vielleicht
mal jemand kommt und Gast sein will).
Seit Zeiten des
Talmud dürfte sich herum gesprochen haben, dass der Nächste nicht der Lieblingsbruder
oder die beste Freundin ist, die man eh am liebsten hat ist, sondern jeder der
dir begegnet. „Denn wenn ihr liebt, die euch lieben, was werdet ihr für Lohn
haben? Tun so nicht auch die Sünder? Und wenn ihr nur zu euren Brüdern und
Schwestern freundlich seid, was tut ihr besonderes? Tun nicht dasselbe auch die
Ungläubigen? (Mt 5, 46f)
Was für ein Zeugnis
gebt ihr den Fremden, die zu euch kommen, wenn ihr euch als Christen zu
erkennen zu geben versucht, indem eure Identität in der Abgrenzung und
Anfeindung besteht? Der Erneuerer der Reformation Philipp Jakob Spener,
schriebt vor 340 Jahren, dass sich die Andersgläubigen, die unter uns wohnen,
darüber zuallererst ärgern: „Denn sie können nicht glauben, daß Es möglich sei,
daß wir Christus für einen wahren Gott halten, wenn wir seinen Geboten so gar
nicht folgen. Oder es müsse unser Christus ein böser Mensch gewesen sein, wenn
sie ihn und seine Lehre nach unserem Leben beurteilen.“ (Pia desideria S.37)[1]
Auf das alle unsere Freunde werden.
Dietrich Bonhoeffer
beginnt sein Buch „Gemeinsames Leben“ (1938) mit der bemerkenswerten
Feststellung, „ Es ist nichts Selbstverständliches für den Christen, daß er
unter Christen leben darf. Jesus Christus lebte mitten unter seinen Feinden.
[…]So gehört auch der Christ nicht in die Abgeschiedenheit eines klösterlichen
Lebens, sondern mitten unter die Feinde. Dort hat er seine Auftrag, seine
Arbeit.“
Dort sollen wir leben
und lieben. Der jüdische Theologe Pinchias Lapide schrieb über die Passagen der
Bergpredigt zur sog. ‚Feindesliebe’, der er den interessanten Begriff der „Entfeindungsliebe“
gab. Für ihn war das freundliche Zuwenden der Weg den Feind zum Freund
zu machen. Im hebräischen Text den Jesus da zitiert, steht eine grammatische
Form (dativus ethicus) die etwa soviel bedeutet, wie „wende dich ihm liebend
zu“. Es geht also nicht um ein Gefühl, das wir aufbringen sollen, sondern um
einen Akt, ein praktisches Handeln. Das macht aus Fremden und sogar Feinden
irgendwann Freunde. Zumindest ändert sich mein Blick auf die, um die ich ‚freie’.
Das ist übrigens der Stamm des deutschen Wortes „Freund“, der den man freit,
also um den man sich kümmert und umschwärmt. Wenn ich freiwillig eine weitere
Meile mitgehe und zum Rock auch noch freiwillig den Mandel gebe (Mt, 5, 40f)
schindet das Eindruck; evtl. beschämt es sogar und bewirkt eine Gegenleistung
-und schon steht man nicht mehr als Feinde sondern als Partner gegenüber - was
im besten Fall zu einer Freundschaft ausgebaut werden kann. Gute Werke retten
uns nicht, aber vielleicht den anderen, und sie deuten auf Christus.
So vergesst nicht
Freunde der Fremden zu sein die zu euch kommen (Heb 13,1) und das ohne Murren
(1Petr 4,9) auch wenn das „Freien um einen Fremden“ nicht immer einfach ist.
Wenn wir so
zeugnishaft leben, brauchen wir auch keine Angst haben, dass eine andere
Religion hier größer als unsere wird, denn so werden der christlichen
Gemeinschaft täglich neue hinzugefügt.
Die als Jüdin
geborene christliche Philosophin Edith Stein (gest. 1942 in Auschwitz)
formulierte es so „Für Christen gibt es keine fremden Menschen. Es ist jeweils
der Nächste, den wir vor uns haben und der unserer am meisten bedarf;
gleichgültig, ob er verwandt ist oder nicht, ob wir ihn mögen oder nicht, ob er
der Hilfe moralisch würdig ist oder nicht.“
So „refugees
welcome“ - weil der Heiland es so will.
Gastfreundschaft lässt das Abendland vielleicht
mal wirklich christlich wirken.
[1] Genau das ist tatsächlich
der Vorwurf vieler radikal-muslimischer Wahabiten an den Westen („christliches
Abendland“?)